Hier ist er: Der letzte Sonntag vor der Veröffentlichung, der letzte #SarahSaxxSonntag! Und deshalb gibt es heute eine Leseprobe aus “Mit Verzögerung ins Glück” für euch!

Alle Rechte vorbehalten – © Sarah Saxx, 2014

 

Prolog – Ein schlechter Scherz

Mai 2005:

Fassungslos und ungläubig starrte ich die Verkäuferin des Brautsalons an, schluckte mehrmals und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit. Die heiße Wut, die gleichzeitig in mir hochbrodeln wollte, machte die Situation nicht unbedingt erträglicher für mich.
„Was soll das denn heißen? Die Hochzeit ist in knapp drei Wochen – wie können Sie einfach meine Bestellung stornieren? Ich bin hier, um mein Brautkleid abzuholen, und genau das werde ich auch tun! Ich werde diesen Laden sicher nicht ohne mein Kleid verlassen!“
Ich deutete mehrmals mit dem Finger in Richtung Ausgang, merkte aber bereits, wie mich meine Kraft verließ. Für einen Moment schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus, um mich zu fangen.
„Das … tut mir leid, aber ich befürchte, hier liegt ein Missverständnis vor.“
„Allerdings!“ Ich funkelte die Verkäuferin wütend an. Meine Fäuste stemmte ich in die Hüften, um meinem bemüht scharfen Ton noch Nachdruck zu verleihen.
Die Frau sah mich mitleidsvoll an. „Vor einem knappen Monat rief uns Herr Beichtl an und teilte mit, die Hochzeit würde nicht stattfinden. Deshalb wollte er den Auftrag fristgerecht kündigen, um unnötige Stornokosten zu sparen. Wir baten ihn noch, uns dies schriftlich zu bestätigen, was er auch gleich tat.“
Sie schob mir einen Brief über den Kassentisch entgegen.
Stornierung des Auftrages über das Brautkleid für Frau Seifert/Beichtl war in großen Lettern zu lesen. Ich atmete tief ein, blinzelte mehrmals und erkannte Jürgens Unterschrift am Ende des Schreibens, dessen exakten Inhalt ich genau genommen gar nicht wissen wollte. Zumindest im Moment nicht. Neben seiner Klaue konnte ich einen Eingangsstempel mit dem Logo des Brautsalons erkennen.
Die schwarzen Punkte vor meinen Augen begannen, endgültig zu tanzen, und der Boden wollte nicht mehr zu schwanken aufhören. Benommen tastete ich mich nach hinten zu der großen, weißen Chaiselongue, die im Empfangsbereich stand. Die Verkäuferin eilte mir zu Hilfe und wies ihre Kollegin an, ein Glas Wasser zu bringen.
Das war er also, dieser eine Moment, von dem all die Herzschmerzlieder handelten. Der Augenblick, in dem einem das Herz aus der Brust gerissen wird, den zig Schriftsteller genauestens analysiert und – in Einzelteile zerlegt – in wundervollen Romanen und Gedichten beschrieben haben.
Jetzt war ich wohl an der Reihe.
„Dieses verdammte Arschloch …!“ Meine Stimme war nur ein flüsterndes Zittern.

 

1.    Zum Kotzen!

Oktober 2013:

Angespannt lag ich im Dunkeln und presste mir das dünne Bettlaken an die Brust. Ich atmete langsam ein und aus, versuchte, Ruhe zu bewahren. Doch mein Blut rauschte in den Ohren, und mein Herz hämmerte wild an meine Kehle. Dabei machte ich doch nichts Verbotenes, oder? Außerdem tat ich das, was ich gerade vorhatte, nicht zum ersten Mal. Es taten unzählige Frauen auf der ganzen Welt – regelmäßig. Männer vermutlich noch öfter.
Ich blickte auf den nackten Mann neben mir. Sein Atem war tief und gleichmäßig, und hin und wieder glitt er ins Schnarchen ab. Er lag auf dem Rücken. Jetzt, wo er schlief und folglich nicht sprach, wirkte er wie ein ganz angenehmer Zeitgenosse. Doch im Grunde war er wieder nur ein oberflächliches Arschloch, ein von sich selbst überzeugter Narziss, der bei allem dick auftrug. Er hatte natürlich den besten Job der Welt, fuhr das schnellste Auto und wohnte in der Wohnung mit der besten Lage in ganz Linz. Tragischerweise hatte nicht einmal seine Leistung im Bett das gehalten, was er versprochen hatte.
In letzter Zeit fragte ich mich immer häufiger, wieso ich mich wieder und wieder auf solche Männer einließ, die so selbstverliebt waren und das Interesse an mir nur vortäuschten. Denn tatsächlich interessierten sie sich nur für meinen Körper. Wer ich war, welche Gedanken, Wünsche, Gefühle ich hatte, war ihnen absolut gleichgültig.
Die Rollläden waren geschlossen. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, Konturen in diesem fremden Raum zu erahnen, doch es war so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Das war blöd, da ich hier unbedingt raus musste – dringend und sofort!
Ich versuchte, mich zu orientieren und ließ dabei die letzten Stunden (Waren es überhaupt Stunden?) Revue passieren. Ich schob die Bettdecke zurück und setzte mich vorsichtig auf. Am Boden konnte ich meine Unterwäsche ertasten. Ich sammelte sie auf und lauschte noch ein letztes Mal in Richtung des Mannes, dem ich vermutlich – hoffentlich – nie wieder begegnen würde.
Dann ging ich langsam und mit ausgestreckter Hand in die Richtung, in der ich die Schlafzimmertür vermutete, und tastete nach der Klinke.
Verdammt, ich will hier raus!
Endlich ertastete ich einen Knauf und versuchte, ihn zu drehen – ergebnislos. War es vielleicht eine Schiebetür? Ich hatte im Eifer des Gefechts nicht darauf geachtet. Ein Fehler, den ich nie mehr begehen würde. Ich zog in eine Richtung, und tatsächlich glitt die Tür zur Seite.
Was hatte Gott sich nur einfallen lassen, als er Männer wie ihn auf uns Frauen losließ? Langsam, aber sicher stellte ich mir die Frage, wieso die gesamte Menschheit nicht bereits ausgestorben war. Überhaupt war meine Ausbeute der letzten Monate, wenn nicht Jahre, wirklich erbärmlich! – Gut, das lag vielleicht auch an mir und meiner Einstellung zu Partnerschaften im Allgemeinen. Würde ich tatsächlich an Gott glauben, hätte ich den Glauben an ihn vermutlich schon vor Jahren verloren, denn das, was er bisher für mich an Männern bereitgehalten hatte, war nicht das, was ich mir für eine glückliche Zukunft erhoffte.
Ich musste grinsen, fielen mir doch gerade in diesem wirklich unpassenden Moment die Worte meiner Oma ein, die immer damit drohte, Gott wisse alles, und irgendwann, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, würde er auch mit uns sprechen, all unsere Sünden aufzählen und uns direkt in die Hölle verfrachten, wenn er es als aussichtslos ansehen würde, uns auf den rechten Pfad zurückzuschicken. Gut, meine Oma hatte auch gedacht, das Handy würde sich nicht durchsetzen und das Internet wäre nur eine Modeerscheinung …
„Wonach suchst du?“ Eine tiefe, raue Stimme ließ mich zusammenzucken.
Gibt es Gott also doch? Werde ich gerade erhört?
Mein Puls raste, und ich hoffte auf ein weiteres Wort, das mich davon überzeugen würde, dass mir meine Sinne einen Streich spielten.
„Öhm … die Toilette?“ Eine blöde Lüge, aber Gott würde diese sofort durchschauen, oder etwa nicht?
„Dann nimm doch die Tür rechts neben dem Schrank! Das WC findest du im Flur direkt gegenüber.“
Eines wusste ich jetzt mit absoluter Sicherheit: Es war nicht Gott, der mir den Weg aus der Dunkelheit zur Toilette wies, sondern mein One-Night-Stand, der munter geworden war. Und ich Genie war kurz davor gewesen, in seinen Kleiderschrank einzusteigen.