Bonus-Epilog "Don't kiss your Boss"

Joleen

»Ach Gott, dieses Kleid ist ein Traum!« Georgia stand vor mir, mit Tränen in den Augen, und fächerte sich Luft zu. Und das nicht nur, weil es heute an diesem letzten Samstag im Juni, verdammt heiß war. Dann beugte sie sich vor, um eine meiner Haarsträhnen zu richten.

»Ich kann meiner Cousine nur zustimmen. Du bist so unglaublich hübsch. Also … das bist du immer, Joleen, heute jedoch …« Virginia stand etwas hinter ihr und hatte ein Leuchten in den Augen, als sie mich sah. »Und mit dem Make-up hast du dich wieder selbst übertroffen, Georgia.«

»Ihr seht aber auch großartig aus«, sagte ich ehrfurchtsvoll und drehte mich um, um meine besten Freundinnen und Brautjungfern nicht mehr nur über den großen Spiegel in dem Raum neben dem Festsaal des Four Seasons zu sehen. Sie trugen blassrosarote Kleider, die ihrer Figur schmeichelten und gut zu ihrem dunklen Teint passten. Beide hatten die Haare hochgesteckt und waren einfach bezaubernd. Und Harper, die Dritte im Bunde, der ich hier bisher noch nicht begegnet war, sah bestimmt genauso schön aus.

Mein Brautkleid war ein wahr gewordener Traum. Es war schlicht, um die Hüften eng und lief am Boden in einer Trompetenform auseinander. Trotzdem wirkte es filigran mit der Spitze und dem freien Rücken und mit den gewellten Haaren fühlte ich mich wie ein Filmstar aus den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Fast genau ein Jahr war es nun her, dass Mason und ich wieder zusammengefunden hatten. Und seitdem war ich so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben. Das Ganze nun noch mit einer Hochzeit zu krönen, war so viel mehr, als ich mir je erträumt hatte.

»Mason wird Augen machen, wenn er dich gleich sieht.« Virginia half mir, die Perlenkette anzulegen, dann umarmten mich beide noch einmal.

Ich wusste, er würde es nicht wagen, mich vorher zu sehen. Ganz traditionell hatte er zu Hause übernachtet, während ich diese eine Nacht bei meiner Mom verbracht hatte. Mein Apartment hatte ich vor gut vier Monaten aufgegeben. Nicht nur, weil wir festgestellt hatten, dass das Planen unserer Hochzeit wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nahm und wir einfach besser dran waren, wenn wir uns diese Fahrerei sparen würden. Im Grunde hatte es die eh nur noch dafür gegeben, um frische Klamotten aus meiner Wohnung in seine zu bringen und um meine Pflanzen zu gießen, bevor sie vor Vernachlässigung das Zeitliche segneten. Zwar hatten wir einen Hochzeitsplaner engagiert – Enrico führte die Eventagentur gemeinsam mit seiner Frau Miranda und beide leisteten wirklich großartige Arbeit –, trotzdem mussten die ganzen Entscheidungen von uns gefällt werden.

Das Kleid hatte Mom seit letzter Woche bei sich aufbewahrt und ja, ich war mehr als gespannt auf Masons Reaktion, wenn er mich gleich sehen würde.

Ein Klopfen an der Tür brachte mein Herz zum Rasen, ehe Isaac und Dad hereinkamen. Überschwänglich begrüßten mich die beiden und lobten mein Kleid und meine Frisur und überhaupt wurden so viele schöne Worte getauscht, dass ich von einem emotionalen Moment in den nächsten stolperte.

»Klopf, klopf, darf ich auch reinkommen?« Mom streckte ihren Kopf durch die Tür, den Brautstrauß in der Hand. Sie umarmte Georgia und Virginia, bevor die beiden nach draußen gingen, um dort ihre Plätze einzunehmen. Dann kam sie zu mir. Tränen glitzerten in ihren Augen. Schließlich drückte sie mich fest an sich. »Du bist so wunderschön, Schatz.«

»Danke«, hauchte ich und nahm den Strauß entgegen, in dem sich weiße und blassrosa Rosen an altrosafarbene Pfingstrosen schmiegten.

»Wir sehen uns dann draußen«, hörte ich Isaac sagen, der sich erst nur mit einem Winken verabschieden wollte.

»Warte!« Ich lief zu ihm und umarmte ihn fest. »Danke für alles. Dass du meinen Dad so glücklich machst und dass du heute mit uns feierst und vor allem: Danke, dass du es arrangieren konntest, dass wir hier heiraten können.« Damit hatte er meine Vorstellungen einer Traumhochzeit mehr als übertroffen.

Er zwinkerte mir zu. »Kein Ding, das war ja nur ein Anruf. Hab ich gern für dich gemacht. Für euch.« Dann verließ er den Raum und als er nach draußen ging, hörte ich die Stimmen der Gäste.

Einhundertzweiundzwanzig waren es, und ich war unglaublich nervös. Vor der Planung der Hochzeit hatte ich keine Ahnung gehabt, dass ich so viele Leute kannte. Zugegeben, es war auch der gesamte siebenunddreißigste Stock eingeladen – inklusive Elli, Mic und Carolyn.

Was mich aber am meisten freute, war, dass Adrian und Harper gemeinsam mit ihrem kleinen Liam hier sein würden, der im April zur Welt gekommen war. Zumindest hoffte ich, dass auch wirklich alles gut ging und Harper nicht doch zu Hause bleiben musste, weil der Kleine ihr Brautjungfernkleid mit Muttermilch vollgespuckt hatte. Wobei sie bestimmt noch Ersatzkleider im Gepäck hatte, um sich im Notfall umziehen zu können. Denn sie fieberte seit Wochen dieser Hochzeit entgegen und hatte sich so darauf gefreut, da es der erste offizielle, ja größere Ausflug mit dem Kleinen war. Adrians Eltern waren auch geladen und wollten sich als stolze Großeltern um ihren Enkelsohn kümmern, damit die beiden die Feier so weit wie möglich genießen konnten.

Jetzt hier mit Mom und Dad in einem Raum zu stehen, war jedoch seltsam und bremste meinen Enthusiasmus, was die Trauung betraf. Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte, vor allem, weil die zwei wohl etwas vorhatten, von dem ich nichts wusste. Und das Wissen, dass sich die beiden hinter meinem Rücken abgesprochen hatten, machte mich nicht nur nervös, es verunsicherte mich auch.

»Joleen, deine Mutter und ich wollten dir noch einmal etwas sagen, was schon längst überfällig ist.«

Angespannt schaute ich erst Dad, dann Mom an.

»Du weißt, zwischen deinem Vater und mir ist nicht immer alles gut gelaufen. Wir sind in eine Beziehung geschlittert, die wir so nicht geplant hatten. Wir haben aus reinem Pflichtgefühl geheiratet, weil wir dachten, wir müssten dir eine Familie sein, die nur dann gut ist, wenn wir dich gemeinsam aufziehen.«

»Aber wir haben dir und uns damit nichts Gutes getan. Dass wir dich den vielen Streitereien und der anschließenden Trennung ausgesetzt haben, tut uns leid. Wir haben beide viele Fehler gemacht, die wir bereuen, jedoch nicht rückgängig machen können«, sagte mein Dad und schaute mich eindringlich an.

»Aber eine Sache haben wir nie bereut: dich bekommen zu haben«, fuhr Mom fort und sorgte dafür, dass meine Sicht schon wieder verschwamm. »Du bist unser größtes Glück, das schönste Geschenk, das wir uns gegenseitig gemacht haben, und unser ganzer Stolz. Heute mit dir deine Hochzeit feiern zu dürfen, bedeutet uns unglaublich viel.«

»Du weißt, wir beide haben anfangs an Mason gezweifelt, haben uns gesorgt, ob er der Richtige für dich ist. Ob er dir guttut, oder ob er dich ein weiteres Mal verletzen wird. Aber im Laufe der letzten Monate haben wir auch feststellen dürfen, dass wir uns keinen besseren Mann an deiner Seite für dich wünschen können.«

Bei diesen Worten konnte ich nicht anders – ich fiel meinem Dad um den Hals. »Danke«, murmelte ich bewegt und drückte erst ihn, dann meine Mom.

»Auch wenn zwischen Albert und mir vermutlich keine enge Freundschaft mehr entstehen wird, haben wir uns in den letzten Wochen und Monaten einige Male getroffen und über alles geredet, was damals vorgefallen ist. Wir haben uns unsere Fehler verziehen und wollen nun gemeinsam für dich bessere Eltern sein. Auch wenn du uns wahrscheinlich jetzt weniger brauchst als noch als Teenager … Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber wir möchten versuchen, das Beste aus der Zukunft zu machen. Nicht nur für dich, auch für uns und … für unsere Enkelkinder, die ihr uns vielleicht irgendwann schenken werdet.«

»Mom, Dad, ich weiß nicht … was ich sagen soll«, brachte ich mit erstickter Stimme hervor.

»Du musst gar nichts darauf antworten, Liebes. Dein zukünftiger Mann wartet draußen darauf, dass du ihn heiratest. Es wird Zeit …« Dad zwinkerte mir zu.

Lachend und gegen die Tränen der Rührung ankämpfend, fächerte ich mir Luft zu und atmete mehrere Male tief durch. »Warum bringen mich heute alle schon vor der Trauung zum Weinen?«

»Georgia hat mir versichert, dass dein Make-up absolut wasserfest ist. Du kannst dir nichts ruinieren.« Mom reichte mir schmunzelnd ein Taschentuch und tupfte sich selbst ebenfalls über die Wangen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verabschiedete sie sich. »Wir sehen uns draußen«, raunte sie mir noch zu, dann verließ sie den Raum.

»Bist du so weit?«, fragte Dad und lächelte mich glücklich an.

»Ich denke ja. Wie sehe ich aus?«

»Wunderschön«, sagte er mit so weicher Stimme, dass ich erneut gegen die Rührung ankämpfen musste.

»Lass uns gehen.« Lächelnd ließ ich mir von ihm die Tür aufhalten und hakte mich bei ihm unter, als wir den Flur betraten.

Enrico, der per Headset mit seiner Frau in Verbindung stand, nickte mir zu und machte eine Geste, die mir verriet, dass ich perfekt aussah. »Sie ist so weit«, sagte er und bedeutete uns, dass wir noch warten sollten.

Die Musik setzte ein und mein Herz stolperte vor Aufregung in meiner Brust. Dann führte mich Dad zum Flur, an dessen Ende Mason auf mich wartete. Und als er mich anstrahlte, nahm ich niemanden mehr wahr. Weder meine noch Masons Verwandte, von denen ich einen Teil nicht einmal kannte. Nicht Peter Baker, den ich vorhin neben den Cunninghams entdeckt hatte und der sich riesig für uns gefreut hatte, als wir ihn besucht und ihm von unserer Verlobung erzählt hatten. Auch nicht Donna und Summer oder Hanna, die neue Assistentin, die vorübergehend Adrian half, bis Harper aus der Babypause zurück war.

Ich wusste, dass dort vorne auch Georgia, Virginia und Harper als Brautjungfern auf der einen Seite, Adrian, Kilian und Logan auf der anderen standen. Doch mein Blick war auf meinen zukünftigen Mann gerichtet. Auf Mason Collins, den ich über alles liebte und mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte.

 

Die Zeremonie war genau so, wie ich sie mir ausgemalt hatte: romantisch und bewegend. Unsere Ehegelübde hatten wir selbst geschrieben und uns damit gegenseitig zu Tränen gerührt, und als Mason mir den Ring ansteckte und wir uns endlich küssen durften, konnte ich mein Glück nicht fassen.

Während wir im Anschluss von den Gratulanten umzingelt waren, hatte man hinter uns den Traubogen mit dem zartroséfarbenen Baldachin abgebaut und an dessen Stelle die Bühne für die Band platziert. Als ich mich umdrehte, war bereits alles fertig und auch die Stühle, auf denen die Hochzeitsgäste für die Dauer der Zeremonie gesessen hatten, waren weggeräumt worden. Stattdessen hatte das Hotelpersonal nun mehrere große runde Tische für je bis zu zehn Personen im Saal aufgestellt.

Nach und nach fanden die Gäste ihre ihnen zugewiesenen Plätze, und als nur noch Mason und ich gemeinsam mit unseren Freunden beisammenstanden, setzte mit einem Mal ein heller Glockenton ein. Überrascht schaute ich zu Mason, der verschwörerisch grinste. »Was passiert hier gerade?«, fragte ich ihn leise, doch er gab mir keine Antwort, sondern führte mich zu einem einzelnen Stuhl, der am Rand der Tanzfläche direkt vor der Bühne stand.

»Setz dich, Joleen Collins.«

Eine süße Gänsehaut prickelte über meine Arme, als er meinen neuen Namen sagte und mich sanft auf die Lippen küsste, um seine Bitte zu unterstreichen.

Kaum dass ich saß, entfernte er sich von mir. Ich bemerkte, dass nicht nur er, sondern auch Adrian, Kilian, Logan, Georgia, Virginia und Harper auf der Tanzfläche standen und sich im Takt zu dem eben einsetzenden SexyBack von Justin Timberlake und Timbaland bewegten. Schon begannen sie alle, dazu zu tanzen, wobei Mason ein Solo nach dem anderen einlegte und nicht nur mir, sondern dem ganzen Publikum Begeisterungsrufe entlockte. Der Song schwenkte um und wechselte zu Closer von Nine Inch Nails, was dafür sorgte, dass ich rot anlief und einige Gäste lachend ihren Kindern die Ohren zuhielten. Gleich darauf startete Lollipop von Lil Wayne und Static Major, und ich musste breit grinsen bei der Erinnerung an den Song. Auch die restlichen Lieder unserer Anfangszeit fanden nach und nach ihren Part in dieser Showeinlage, mit der mich mein Mann und unsere Freunde zu Tränen rührten.

Mason strahlte mich an, als hätte er den Jackpot im Lotto gewonnen.

Als das Medley zu Ende ging, nahmen sie eine Schlusspose ein. Das Publikum tobte vor Begeisterung und ich konnte nicht länger still sitzen bleiben. Ich sprang auf und lief auf Mason zu, fiel ihm in die Arme, küsste ihn. »Ihr seid so verrückt! Und großartig! Wann habt ihr das alles geplant und einstudiert?«

»Während deiner Zumba- und Spanischstunden. Das war echt eine Herausforderung für uns, vor allem deshalb, weil ich befürchtete, du könntest einmal früher nach Hause kommen, eine leere Wohnung vorfinden und Fragen stellen, auf die ich spontan keine Antwort gewusst hätte.«

Lachend schüttelte ich den Kopf und umarmte auch die anderen Tänzer. Ich bedankte mich überschwänglich bei ihnen, ehe ich mich in Masons Armen wiederfand. »Danke für diesen schönen Tag.«

Er schloss die Augen, ein zärtliches Lächeln auf den Lippen, und schüttelte den Kopf. »Ich danke dir, Joleen. Dass du mir eine zweite Chance gegeben hast, als ich es nicht verdient hatte. Dafür, dass du mich liebst und zum glücklichsten Mann von Manhattan gemacht hast. Ach was, von ganz New York.«

»Das kann ich nur zurückgeben. Wobei ich da noch eine Frage hätte …«

»Die da wäre?« Stirnrunzelnd schaute er mich an.

»Wieso SexyBack? Hat der Song auch was mit uns beiden zu tun?«

Er nickte und ein Funkeln lag dabei in seinen Augen. »Erinnerst du dich noch an jenen Freitagabend, als du mit reichlich Alkohol versucht hast, das peinliche Aufzugerlebnis mit Thomas’ Furz zu vergessen?«

Bei der Erinnerung schlug ich meine Hände vors Gesicht. »O Gott, ja! Da war ich mit Georgia und Virginia unterwegs und … hab dich in meinem betrunkenen Zustand das erste Mal geküsst.«

»Ganz genau. Erinnerst du dich auch noch an den Moment davor? Du hast getanzt und ich hab dich auf der Tanzfläche entdeckt.«

»Zu diesem Song?«

»Richtig«, sagte er grinsend.

»Also hast du ihn deshalb gewählt?«

Er nickte. »Mit diesem Song hat alles angefangen. Und schau, wohin es uns gebracht hat.« Zärtlich streichelte er mir über den nackten Rücken und sorgte für eine sanfte Gänsehaut auf meinem Körper.

»Dann müssen wir uns bei Thomas bedanken – ohne ihn würden wir heute vermutlich nicht hier sein«, stellte ich lächelnd fest.

»Oh, ich darf eigentlich noch nichts verraten, weil es eine Überraschung ist, doch … er wird später auf dieser Bühne stehen. In seiner Freizeit ist er Stand-up-Comedian und macht seine Sache richtig gut. Aber hey, von mir weißt du es nicht.« Er zwinkerte mir zu und verhinderte mit einem weiteren Kuss, dass mir verblüfft mein Mund aufklappte. »Komm, wir sollten uns endlich zu den anderen setzen und unsere Hochzeit feiern.«

Mit diesen Worten verwob er seine Finger mit meinen und führte mich zu den zwei freien Plätzen am Tisch unserer Freunde. Wir setzten uns und die Gefühle überschlugen sich in mir. Mein Gott, ich liebte diesen Mann aus vollem Herzen. Er gehörte offiziell mir, bis zum Ende meines Lebens. Und diese Tatsache machte

mich

zur glücklichsten Frau von ganz New York. Nein, der ganzen Welt.