Bonus-Epilog »Hot Filthy Loveletter«

Avery

 

Frohes neues Jahr

 

Acht Jahre später

 

Nervös tigerte ich im Wohnzimmer auf und ab, den Blick hinaus auf die Stadt gerichtet, die sich bereit machte für den Jahreswechsel, und schüttelte meine Hände, um die Aufregung irgendwie in den Griff zu bekommen. Keine Ahnung, wann ich zuletzt so aufgewühlt gewesen war.

Oh, doch: als Fabio vor zweieinhalb Monaten aus dem Gefängnis entlassen wurde. Mr Cavanaugh hatte mich wie versprochen die ganze Zeit über auf dem Laufenden gehalten und mich sogar über Fabios Fortschritte in der Therapie in Kenntnis gesetzt. Er hatte sich offenbar gut gemacht, was mir dennoch nicht geholfen hatte, mich zu beruhigen, je näher sein Entlassungstermin gerückt war.

Allerdings hatte mir Mr Cavanaugh auch erzählt, dass Fabio mit dem Gedanken spielte, nach San Diego auszuwandern. Was sich erst wie ein Traum angehört hatte, wurde tatsächlich wahr. Denn noch bevor er entlassen wurde, hatte er alles in die Wege geleitet, sich am anderen Ende des Landes ein neues Leben aufzubauen. Einer seiner ehemaligen Mithäftlinge hatte ihm dabei geholfen und als er schließlich freikam, hatte er sich noch am selben Tag auf nach Kalifornien gemacht.

Seitdem konnte ich endlich tief durchatmen. Die Monate vor seiner Entlassung hatten mir schwer im Magen gelegen. Doch jetzt, wo ich wusste, dass er mir nicht mehr auflauern und das Leben zur Hölle machen würde, konnte ich wieder in die Zukunft blicken. Was dafür gesorgt hatte, dass sich Weichen gestellt hatten, von denen ich gedacht hatte, dass sie Nicolai und mir für immer verwehrt bleiben würden …

Ich sah auf den Esstisch, den ich gedeckt hatte, und auf die Sektgläser, die nur darauf warteten, gefüllt zu werden. Auf die kleinen Häppchen, die ich vorbereitet hatte und die Nicolai und ich gemütlich essen würden, während wir uns nebenbei das diesjährige Silvesterprogramm im Fernsehen anschauen wollten.

Elisa und Maddox hatten uns zwar gefragt, ob wir mit ihnen auf die Silvesterparty von gemeinsamen Freunden gehen würden, wir hatten jedoch schweren Herzens abgelehnt. Denn Nicolai hatte Benjamin Cooper, Elisas Dad, im Personenschutz zu einem Silvesterevent begleitet, das der neue Senator heute Abend besucht hatte.

Nach seiner Wiederwahl zum Bürgermeister hatte er sich nach der zweiten Amtsperiode dazu entschlossen, als Senator zu kandidieren, was prompt geklappt hatte.

Maddox hingegen war immer noch als Stadtentwickler tätig – das jedoch nur, weil sich Anderson endgültig aus der Politik zurückgezogen hatte und nun Madeleine Peterson, eine engagierte Mittfünfzigerin, über die Stadt waltete. Allerdings hatte er seine Stunden reduziert, um mehr Zeit für Elisa und ihren gemeinsamen dreijährigen Sohn Justice zu haben.

Seufzend warf ich einen Blick auf die Uhr. Nicolai sollte schon längst hier sein und langsam, aber sicher wurde ich nervös. Jedoch hätten sich er, Paul oder Ember gemeldet, wenn bei ihrem Einsatz etwas schiefgelaufen wäre, oder?

Gerade als ich nach meinem Telefon greifen wollte, um Nicolai zu schreiben, klickte das Türschloss und er betrat unsere Wohnung. Sofort lief ich auf ihn zu und sprang ihm in die Arme.

»Whoa, du bist aber stürmisch heute.« Belustigt küsste er mich und ließ mich sanft zu Boden. »Sorry, dass es länger gedauert hat. Quentin hat es sich nicht nehmen lassen, eine kleine Ansprache zum Jahresende zu halten.«

»Schon gut, jetzt bist du ja da.« Ich führte ihn an den Esstisch und entkorkte die Sektflasche, von der ich jedem von uns einschenkte und ich ihm anschließend ein Glas reichte. »Ich war nur aufgeregt, weil wir etwas feiern müssen.«

Fragend schaute Nicolai mich an. »Ja?« Nachdenklich sah er sich in der Wohnung um, die im Grunde noch immer so aussah wie damals, als ich das erste Mal hier eingezogen war. Einzig ein paar Fotos von uns und unseren Freunden sowie Erinnerungsstücke unserer Reisen und der Konzerte, die wir gemeinsam besucht hatten, waren dazugekommen sowie meine Pflanzen, die alles noch grüner machten. »Einen Jahrestag? Aber wir haben doch an Weihnachten schon darauf angestoßen, dass du vor acht Jahren wieder zu mir gezogen bist.«

Wärme durchflutete mich. Denn ich hatte es keinen Tag bereut, die alte Wohnung endgültig aufgegeben und all meine Sachen zu Nicolai gebracht zu haben. Hier war ich zu Hause, hier fühlte ich mich wohl und sicher. Und hier war auch der richtige Ort, um die Zukunft mit ihm zu verbringen.

»Das stimmt. Aber es hat sich kürzlich ergeben, dass wir noch einen Grund haben, uns zu freuen und zu feiern.« O Gott, wieso raste mein Herz mit einem Mal so sehr? Ich wusste, wie Nicolai reagieren würde – immerhin hatten wir in den letzten Jahren so oft darüber gesprochen. Doch nun, wo der Moment gekommen war, es ihm zu sagen, fiel es mir unglaublich schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. Stattdessen stiegen mir Tränen in die Augen. Ich war schon immer nah am Wasser gebaut gewesen, aber jetzt …

Nicolai nahm mir das Glas ab, stellte es gemeinsam mit seinem auf den Tisch und zog mich in eine Umarmung. »Was ist passiert?« Seine Stimme war voller Sorge – oder war es nur die Aufregung?

Mühsam schluckte ich gegen den Kloß in meinem Hals an, bevor ich mich räusperte. »Wir nehmen aus diesem Jahr ein kleines Geschenk mit.«

Abwartend sah ich Nicolai in die Augen, die aufgeregt zwischen meinen hin und her huschten, bis sie sich schließlich wie meine mit Tränen füllten. »Nein …!«, flüsterte er.

»Doch«, war alles, was ich hervorbrachte, bevor er mein Gesicht in beide Hände nahm, mir noch einmal tief in die Augen sah und mich liebevoll küsste.

»Du bist wirklich endlich schwanger?«

Ich nickte. »Ja. Und ich bin auch seit gestern in der zwölften Woche. Ich weiß es schon eine Weile, aber der Arzt meinte, da es so lange gedauert hat, wäre es gut, abzuwarten, bis die kritische Zeit vorbei ist. Ich wollte nicht, dass ich … nun ja … und dass du dann enttäuscht bist.«

Nicolais Gesicht wurde fahl. »O Avery … Du hättest diese unsichere Phase nicht allein durchstehen sollen. Du weißt, ich wäre für dich da gewesen. Immer. Wir passen aufeinander auf, in guten wie in schlechten Zeiten. Du erinnerst dich?«, fragte er in Anlehnung unseres Ehegelübdes, das wir im Sommer vor fünf Jahren abgelegt hatten. Seitdem hatten wir versucht, schwanger zu werden. Und fast hätte ich die Hoffnung aufgegeben …

»Ich weiß. Aber ich hätte es vermutlich nicht ertragen, dich zu enttäuschen, wenn es anders ausgegangen wäre«, gestand ich leise.

Nicolai musterte mich ein paar Augenblicke lang, bevor er vor mir auf den Boden sank, eine Hand am Saum meines Pullovers, und fragend zu mir hochsah.

Wärme durchflutete mich und ich nickte lächelnd.

Daraufhin schob Nicolai mein Oberteil ein Stück weit nach oben. »Hallo, du kleines süßes Wunder. Hier ist dein Daddy und ich liebe dich jetzt schon. Du darfst noch ein paar Wochen in Mommys Bauch wohnen, und wenn du dann da bist, werden wir dich mit unserer Liebe überhäufen. Wir werden dich beschützen und dich zu einem großartigen Menschen großziehen. Das verspreche ich dir.« Er küsste mich unter den Bauchnabel. Einmal, zweimal … ein Dutzend Mal.

Tränen der Rührung standen mir in den Augen, als er schließlich aufstand und nach den Sektgläsern griff. Jedoch stellte er diese sofort zurück auf den Tisch und warf mir einen strengen Blick zu.

»Alkoholfrei«, erklärte ich amüsiert, »genau wie jener an Weihnachten.«

Stirnrunzelnd nahm Nicolai die Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett. »Deshalb hat der damals so eigen geschmeckt.«

»War er nicht gut? Du musst ihn nicht trinken, wenn er dir nicht schmeckt.«

Schmunzelnd wandte er sich mit den Gläsern in den Händen wieder mir zu. »Doch, er war nur süßer als erwartet. Und der Bums hat mir irgendwie gefehlt. Aber jetzt ergibt es natürlich Sinn. Auf uns beide. Auf uns drei …«

Räuspernd stellte ich das Glas ab. »Da gibt es noch eine Sache, die du vielleicht wissen solltest«, sagte ich und ging in die Küche, wo ich eine Schranktür öffnete und ein kleines Geschenk herausnahm. Dieses überreichte ich Nicolai und spürte meinen Herzschlag im Hals, so heftig polterte es in meiner Brust.

»Was ist das?«, fragte er neugierig, aber mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Mach es auf.« Tief atmete ich ein und aus und hätte am liebsten selbst das Papier runtergerissen.

Nicolai war wohl genauso aufgeregt wie ich, denn innerhalb zwei Sekunden hatte er den Inhalt freigelegt. Irritiert starrte er auf den Bilderrahmen. »Ein Ultraschallbild?«

Ich nickte. »Schau es dir genauer an.«

Er kniff die Augen zusammen, bevor sie sich weiteten. »Sehe ich richtig?« Er blickte mich erstaunt an, dann wieder auf die kleine Aufnahme. »Das sind …«

»Zwillinge, ja.«

Nicolai schwieg.

Und ich war kurz vorm Hyperventilieren, weil er nichts sagte. Weil er nicht darauf reagierte. Er starrte einfach nur das Bild an.

»Das ist …«

Zitternd suchte ich an der Stuhllehne Halt. Der ganze Raum begann zu kippen.

»Gott, Avery, das ist großartig!«, sagte er schließlich.

»Ja?« Der Boden hörte auf zu schwanken, dennoch nagte ich unsicher an der Unterlippe. Denn ja, mich hatte diese Nachricht auch ziemlich überfordert. Aber immerhin hatte ich schon ein paar Wochen Zeit gehabt, mich darauf einzustellen.

»Ja!« Nun hob er mich hoch, bevor er mich sanft wieder zu Boden ließ und mich liebevoll festhielt. »So lange haben wir gehofft, ein Baby zu bekommen – und jetzt sind es gleich zwei!«

»Du bist also nicht sauer?«

Nicolai lachte kurz auf. »Worauf sollte ich denn sauer sein? Dass meine Schwimmer sich nicht entscheiden konnten, wer schneller ist? Oder dass sich deine Eizelle einmal zu weit geteilt hat? Dass wir bald nicht mit einem, sondern mit zwei Kindern beschenkt werden? Egal, welche Herausforderungen das Leben uns noch stellt, ich bin bereit, jede einzelne von ihnen anzunehmen. Weil ich weiß, dass wir sie gemeinsam meistern werden. Mit dir an meiner Seite ist alles möglich.«

Erneut musste ich gegen den Kloß in meinem Hals anschlucken, während meine Sicht verschwamm. »Soll ich dir was sagen?«

»Hm?«, summte er leise.

»Ich liebe dich. Gott, ich liebe dich so sehr, Nicolai Vaughn, dass ich manchmal das Gefühl habe, mein Brustkorb könnte platzen, weil mein Herz so voll ist vor Liebe.«

Lächelnd wischte er mir eine Träne von der Wange. »Und ich liebe dich, Avery Vaughn. Du bist das größte Glück, das mir geschenkt wurde – und dass du jetzt auch noch unsere beiden Kinder unter deinem Herzen trägst …« Tief sog er Luft in die Lungen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das übertrifft einfach alles.«

Fest drückte ich mich an den Mann, der wie ein Fels in der Brandung für mich war. »Wenn du willst, könnten wir ein Foto von uns mit dem Ultraschallbild machen und es an unsere Freunde schicken.«

Das taten wir dann auch, nachdem wir den Sekt getrunken und ein paar Häppchen gegessen hatten. Nicolai fixierte sein Telefon in einem Stativ, kniete sich vor mich, meinen Pullover erneut nach oben geschoben, und küsste mich auf den Bauch. Gleichzeitig hielt ich das Ultraschallbild in die Kamera.

Wir brauchten ein paar Anläufe, bis wir mit der Aufnahme zufrieden waren, bevor wir es an Elisa, Maddox, Jasmin und Connor schickten mit dem Text: Wir wünschen euch ein frohes neues Jahr, viel Glück und Gesundheit – Avery, Nicolai und Zwillinge.